Sonntag, 5. Oktober 2014

Reserva Ecológica El Ángel

Der Autofahrer meines Vertrauens sagt am Vortag ab und organisiert einen jungen Freund als Chauffeur: Edison, 25 Jahre, fährt Auto seit 4 Jahren und hat doch leicht unter mir als Beifahrerin zu leiden. Ist aber auch schlecht, wenn die mit Karte und Reiseführer bewaffnete Touristin das Ziel besser kennt als man selbst...

Zunächst sind knapp zwei Stunden Fahrt auf der mautpflichtigen und teils dreispurigen Panamericana angesagt, ich bin zunächst reichlich unentspannt und frage mich und später auch Edison, ob hier denn kein Rechtsfahrgebot und Linksüberholen gelte. Auch das Anhalten auf der Schnellstraße als "wir" uns nicht ganz sicher mit dem Weg sind stresst mich irgendwie - nicht zu vergessen, ich zahle 60 $ für die Fahrleistung, und bin schon primär unglücklich darüber... Der junge Mann trägt auch nur ein T-Shirt, dabei geht es auf windige und neblige 3800 m hinauf! Ich solle mir keine Sorgen machen, er sei daran gewöhnt! Später kann ich ihm (typisch gut ausgerüstete Deutsche) aber doch noch eine Jacke leihen.

Nach Ankunft im Dorf El Angel merke ich aber, dass es sich gelohnt hat, in das Auto zu investieren. Locker wäre ich mit zwar mit einmal Umsteigen für ca. einen Dollar hier angekommen, aber in der doppelten Zeit, und hätte mir Unterkunft und noch immer einen weiteren Transport in die Naturreserve hinein organisieren müssen. Das Dorf zeichnet sich durch eine wunderschöne alpine landwirtschaftlich genutzte Umgebung und einen tollen zentralen Dorfplatz aus, der hier aus ungewöhnlichen beschnittenen Baum-Skulpturen besteht. Alle Dörfer der Gegend haben am Eingang reichlich naive "Kunst ohne Erbarmen" (Reiseführer O-Ton), die entweder religiöse Motive oder Dorfleben (riesige bunte Menschen hinter noch riesigeren Kühen - leider kein Foto) zeigen. Ach ja Foto: Der Kamera-Akku liegt frisch nach Aufladung zuhause, es muss das olle Handy ausreichen!

Ein Schild weist uns sogar den Rest des Weges: Es sind nur noch 17 km! Die Steinpiste ist so huckelig dass wir eine Stunde brauchen... Edison lässt sich mit stoisch-freundlichem "Claro!", dem meist gesagten Wort des Tages ;-), erklären, wie man bei einem heckgetriebenen Wagen auf glitschiger Strecke vorne die Kontrolle über die Lenkung verliert...
Schließlich ändert sich die Landschaft, wo es im Vergleich zu meiner Unterkunfts-Gegend schon hügelig grün geworden ist - ich sage zu Edison: Und so sieht Deutschland aus, auch mit den schwarzweißen Kühen! - da arbeiten wir uns huckelig weiter hoch, hinein in den Nebel und da tauchen sie schließlich auf: Die Frailejones!!!

Kein weiter Blick ist möglich, Horizont verschwimmt mit Himmel, die Stimmung ist einzigartig verwunschen. Schwarze Stämme, welche schützend von den umgeknickten alten Blättern umgeben sind, pelzige Köpfe mit gelben, sonnenblumenartigen Blüten, und ein ganz eigenartiger Geruch hängt in der Luft. Es handelt sich um die Familie der Asteracea (wie eben diese Sonnenblume, das verrät mir später Wikipedia), nur angepasst an den stetigen Wechsel von intensiv brennendem Sonnenschein, Nebel, relativer Trockenheit und Nachtfrost auf Höhen über 3500 m Höhe.

Es ist absolut still, ein 4x4 Jeep mit Parkrangern kommt uns entgegen und am Eingang werden wir mit Handschlag begrüßt und müssen uns, wie überall in Ecuador, mit Reisepassnummer und weiteren detaillierten Angaben eintragen. Der Eintritt ist allerdings kostenlos, unter der Woche kämen laut Parkranger so 20 Personen vorbei, an einem Wochenende ca. 40. Die Reserve befindet sich im nördlichsten Zipfel Ecuadors und grenzt dort an Kolumbien.

Los geht es auf einem befestigten Wanderweg, den angekündigten See entdecke ich erst in letzter Minute, da der Nebel ihn kaum freigibt, es nieselt auch, aber die Landschaft ist märchenhaft, aus dem Nebelsee scheint sogleich ein Fabelwesen aufzusteigen. Man denkt über Filme nach, die hier erst noch gedreht werden müssten, allerdings würde das Filmteam mächtig leiden, sofern es nicht ausreichend akklimatisiert ist. Auch ich muss wieder ganz kleine Schritte machen beim Aufstieg auf die 3800 m des Aussichtspunktes "Mirador de los Corazones Sanos" (der gesunden Herzen).

Entspannt von der Einzigartigkeit des Ortes arbeiten wir uns die Buckelpiste wieder herab und nochmal 15 km und mit geringfügig besserer Streckenführung zur zweiten Attraktion der Reserve, den Polylepis-Wäldern. Dies sind Bäume aus der Familie der Rosenartigen, die ausschließlich in den Anden und dort in Höhen bis zu 4500 m vorkommen. Die Baumgrenze in unseren Alpen liegt bei 2000 m - aber hier ist es ja doch viel wärmer. Die Bäume blättern ihre Rinde papierartig ab, wohl als Isolierschicht, sie wachsen sehr langsam, ihr Holz ist extrem hart, und die Blätter wiederum winzig klein. Sie verbrauchen kaum Wasser, im Gegensatz zu dem hier allgegenwärtigen eingeschleppten Eukalyptus, der Böden regelrecht austrocknet, in diesen Höhen aber eh nicht mehr zu finden ist.

Der Weg zum Polylepis führt wieder durch Alpenvorland mit Kartoffelplantagen und Kühen, wieder registrieren wir uns, und laufen dann es bisschen. Die Bäume sind knorrig und erneut wie verwunschen mit der papieren Rinde und den Flechten die darinhängen, aber die Energie ist schon in den Buckelpisten geblieben und die umgebenden Lorbeerbäume rufen bei mir wieder starke Erinnerungen an meine geliebten kanarischen Inseln hervor...

Auf dem Rückweg gibt die tiefstehende Sonne den nun trockenen Bergen, durch die wir auf der Panamericana kommen, ein neues Glänzen. Auf dem Weg in unsere Heimatprovinz Imbabura durchqueren wir das überaus warme, aber grüne und fruchtbare Valle del Chota, das seinerseits von den trockensten Wänden eingerahmt ist. Dann tauchen endlich wieder die mir vertrauten Umrisse Imbabura (4600 m) und Cotacachi (4900 m) auf.

Überallhin möchte man in dem Sonnenuntergangsrot wieder schauen und fotografieren. Ich höre über Kopfhörer mein Hörbuch (Der Schwarm - toll, spannend!!!) und bin trotz ständigen langsamem Linksfahren froh, mich um gar nichts mehr kümmern zu müssen.

3.10.2014
Fotos scheinen in umgekehrter Reihenfolge abgebildet :-(

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